Suerte y mala suerte

„Viel zu spät begreifen viele
Die versäumten Lebensziele:
Freude, Schönheit der Natur,
Gesundheit, Reisen und Kultur.“

– Wilhelm Busch

Mein November war geprägt von Veränderungen, von schönen Momenten, aber auch von harten und anstrengenden Zeiten. Dieser Monat – er hört leider so auf, wie er angefangen hat… –  Ich liege im Bett mit verstauchtem Knöchel. Ende Oktober war es der rechte. Gerade ist es der linke. Mehr oder weniger bin ich also ans Bett gebunden. Wenigstens gibt mir das Zeit, viel nachzudenken und euch von den letzten Wochen zu erzählen.

Schonen

Lektion 1 des Novembers: Gesundheit ist wahnsinnig wichtig! Beim Klettern bin ich an einem Freitag im Oktober abgesprungen und so unglücklich gelandet, dass ich mit dem rechten Fuß zwischen zwei Matten aufkam und dabei noch umknickte. Über Nacht schwoll der Knöchel so stark an, dass meine Gastmutter Mariana, Frederik (ein Freund, der mich sprachlich und auch sonst unterstützte) und ich in ein Krankenhaus Riobambas fuhren. Nach einer Untersuchung und einem Röngtenbild wurde mir gesagt: Nicht belasten, Schmerzmittel nehmen, kühlen, heiße Umschläge und hochlegen!

Natürlich habe ich das gehasst, ich konnte nicht auftreten, war auf Hilfe angewiesen, konnte nicht weggehen, nicht klettern, mich nicht mit Freunden treffen, … Zwei Tage bin ich nicht arbeiten gegangen, danach fuhr ich mit dem Taxi in die Schule, obwohl ich mir vor kurzem ein gebrauchtes Rad gekauft hatte!

Mein Rad
Katharinas Geburtstagsfeier

 

 

 

 

 

Halloween Buffet mit zehn Torten

Als dann der Geburtstag von Katharina – einer Mitfreiwilligen in Riobamba- anstand, zu dem sie alle Freiwilligen unserer Organisation eingeladen hatte, habe ich mich natürlich nicht geschont, sondern wollte den anderen „meine“ wunderschöne Stadt zeigen und versuchte auch am Anfang noch bei der Party, die aufwendig für Halloween dekoriert war, mitzutanzen (all das nahm mein Knöchel mir ziemlich übel).

Pregon zur Eröffnung der Unabhängigkeitsfeier

 

 

 

Fotos von Hannah: https://hannahinecuadorblog.wordpress.com Danke dir!

Genau an diesem Wochenende wurde auch die Fiestas de Riobamba mit einem Umzug feierlich eröffnet. Im November feierte die Stadt nämlich ihre 197 jährige Unabhängigkeit von Spanien. Zu diesem Anlass gab es den ganzen Monat lang ein vielfältiges kostenloses Programm mit Umzügen, Konzerten, Ausstellungen, Märkten und Vorträgen. Neben dem Eröffnungs- umzug, den ich mir mit meinen Freundinnen Leni und Hannah (Freiwillige in Puyo) anschaute, habe ich mir zwei Wochen später mit meiner Gastmutter noch den

Meine Schule , die UE Miguel Angel Leon, beim Umzug der Schulen

Umzug der Schulen angeschaut und meinen Schülerinnen und Schülern gewunken, die durch die Stadt marschierten und Musik machten.

Wie ihr euch vorstellen könnt, habe ich mir die Stierkämpfe nicht angeschaut, egal wie sehr es zur Tradition gehört, ich finde es grausam.

Auf dem Markt haben wir uns Guagua de Pan und Colada Morada gekauft

Im November gibt es in Ecuador (wie in einigen anderen Ländern auch) einen besonderen Feiertag, den ich miterleben durfte. Am 2. November war der Dia de los Difuntos (Tag der Toten). Dieser kündigt sich schon dadurch an, dass in den Tagen davor überall das typische Getränk Colada Morada getrunken und Guagua de Pan gegessen wird. Letzteres ist deutschen Weckmännern sehr ähnlich und aus einer Mischung von mestizischen und indigenen Bräuchen entstanden. Ob in der Schule, mit den Kollegen der Englisch-Fachschaft oder in der Familie – gerne genoss man zusammen diesen Brauch.

Guagua de Pan und Colada Morada

Am eigentlichen Feiertag bin ich vormittags mit meiner Gastmutter Mariana, ihrer achtzigjährigen Schwester, ihrem Schwager und einer Nichte auf den Friedhof gegangen, wo die Gräber gepflegt, Blumen vorbeigebracht und der Verstorbenen gedacht wurde.

Am Abend bin ich dann mit Freunden zu einem kostenlosen Konzert im Olympia-Stadion gegangen, wo mehrere ecuadorianische Bands, unter anderem Guardarray und Swing Original Monks, auftraten. (Falls ihr euch sie mal anhört wollt, habe ich jeweils ein bekanntes Lied der Bands verlinkt.) Und obwohl ich wirklich noch nicht viele Menschen in Riobamba kenne, habe ich an dem Abend noch einige Bekannte getroffen, da sich das Nachtleben auf die Avenida Daniel Leon Borja konzentriert und man sich so automatisch über den Weg läuft.

Samy, Steven und ich in Quito

An diesem verlängerten Wochenende fuhren mein Gastbruder Steven, mein Gastonkel Miguel, meine Gasttante Mary und ihre Tochter Samy nach Quito zu einem Fußballspiel des Vereins Liga de Quito und luden mich ein mitzukommen. Es war ein toller Tag (auch wenn ihr Verein verloren hatte), den ich sehr genossen habe. Auch die jeweils vierstündige Hin- und Rückfahrt war super schön, mit angenehmer Musik und den richtigen Leuten – ein richtiges Roadtrip-Gefühl! Die Natur war so atemberaubend, dass wir mehrfach einfach an der Landstraße/Autobahn anhielten, um Fotos zu machen. Ich war einfach nur glücklich, für ein Jahr inmitten von dieser tollen Landschaft leben zu dürfen.

Blick auf den Cotopaxi

Eine andere Seite zeigte die Naturgewalt zweimal in diesem Monat. Doch von den beiden Erdbeben in diesem Monat habe ich persönlich nicht viel mitbekommen, obwohl man sie deutlich in Riobamba spüren konnte. Mit den Schülerinnen und Schülern mussten wir die Schulgebäude verlassen und im Freien abwarten, bis Entwarnung gegeben wurde. Zuerst dachte ich, es wäre nur eine Simulation wie in der vorherigen Woche, aber später erzählten mir Schüler/innen und Lehrer/innen, die sich in höheren Stockwerken aufgehalten hatten, wie Tische, Wände und Türen gewackelt hätten.

In den nächsten Wochen machte ich noch einige Ausflüge in die Natur, eigentlich direkt ab dem Moment, als ich wieder schmerzfrei längere Strecken gehen konnte. Paul, Frederik, Immo und ich stiegen auf einen nahegelegenen Aussichtspunkt und sahen zu, wie die Sonne über Riobamba und dem Chimborazo unterging, während wir sehr interessante Gespräche führten – genau wie bei Frederiks Geburtstag, der auch im November stattfand, und wie nach einigen Filmen des Martes de Buen Cine.

Die Lichter Riobambas unterhalb des Chimborazos
Landschaft im Naturreservat Chimborazo, der sogenannte „Páramo“

Wanderlust (diese Wort gibt es, glaube ich, nur im deutschen Wortschatz, aber es wurde ins Englische aufgenommen) packte Immo und mich, so fuhren wir am folgenden Wochenende spontan ins Naturreservat Chimborazo und wanderten auf den nächst-gelegenen Hügel/Berg, der sich uns anbot. Meine Gastmutter war an diesem Wochenende verreist.

Wanderung im Reservat Chimborazo

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als sie Sonntag zurückkam, passierte das, was ich in der Überschrift als „mala suerte“ (Unglück) bezeichne. Keiner weiß wie, aber ich fand sie fast bewusstlos neben ihrem Bett auf dem Boden liegend. Die folgenden sieben Stunden verbrachten wir bangend vor der Notaufnahme. Glücklicherweise ging es ihr schon bald besser, sodass sie am Folgetag bereits entlassen wurde und sich zuhause ausruhte, wo sie die nächsten Tage von ihrer Familie gepflegt wurde. Jetzt macht sie schon wieder alles selbst und kauft ein, kocht, putzt, als wäre nichts gewesen, muss aber seitdem häufig zum Arzt, da die Diagnose noch unklar ist. Eine Woche habe ich dadurch nach der Schule für mich selbst gesorgt und gekocht, denn die Verwandten brachten Mariana etwas zu essen mit, sodass sie sich um nichts sorgen musste.

Blick auf den Schulhof

In der Schule wollte bzw. konnte ich nicht fehlen, denn auch dort hat sich was für mich geändert. Nachdem eine Englisch-Lehrerin in Rente gegangen war und ihre Klassen ohne Englisch-Lehrkraft waren, bot ich an, ihre Stunden zu übernehmen. So hatte ich von einem Tag auf den anderen sechs eigene Klassen je fünf Wochenstunden. Peu a peu bekam ich das Lehrbuch, Klassenlisten, Informationen, wie die Noten einzutragen sein und wie ich mit Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten umgehe.

Die letzten vier Wochen in der Schule haben mich herausgefordert, denn es ist super anstrengend, 35 Schülerinnen und Schüler zum Lernen, Aufpassen und Mitmachen zu motivieren und gleichzeitig das Organisatorische des Lehramts (Hausaufgaben, Anwesenheit, Tests, Klausuren) zu managen, aber es hat mir auch viel gegeben. Besonders in einigen kleinen Momenten habe ich Bestätigung gefühlt, wenn ich bemerkte, dass eine Schülerin oder ein Schüler angefangen hat, freiwillig aktiv mitzuarbeiten, wenn mir jemand sagte, „teacher, ich verstehe Sie ja doch mehr oder weniger, auch wenn Sie Englisch mit uns reden“, wenn ich verstehendes Nicken in den Reihen sah oder die Schülerinnen und Schüler anfingen, englische Phrasen und Wörter nachzuahmen und zu verstehen. Eine anstrengende, aber sehr gute Erfahrung für mich, aber auch für die Schülerinnen und Schüler, den ich in Erinnerung bleiben werde. Ab nächster Woche wird ein neuer Lehrer die Klassen übernehmen, dem ich noch bei der Eingewöhnung und beim Übergang begleiten soll. [Update 13. Januar: Bis jetzt kam immer noch kein/e neue/r Lehrer/in, es gab aber einen Wechsel, ich unterrichte jetzt Fünftklässler.]

TEDXUnach Riobamba

Auch mit dem Thema „Lernen“ beschäftigte sich der TEDxTalk, den ich an der Universität Riobambas besuchte und viele interessanten Vorträgen auf Spanisch hörte. Ich bin ja ein großer Fan dieser Veranstaltungen und schaue mir gerne, wenn ich Zeit und Ruhe habe, TED-Talks im Internet an. Und da das Motto von TEDx „Ideas worth spreading“ ist, möchte ich euch die Idee, falls ihr sie noch nicht kennt, ans Herz legen. Hier könnt ihr Videos suchen: https://www.ted.com/watch/tedx-talks und hier nach Events in eurer Umgebung suchen: https://www.ted.com/tedx/events .

Ohje, mein Text ist schon super lang geworden, ich hab gerade wirklich viel Zeit- vielleicht sollte ich lieber TED-Talks schauen als seitenweise von meinen Erlebnissen zu berichten und euch zu langweilen. Aber von meinem letzten Wochenende möchte ich noch erzählen, das war eine wunderschöne Auszeit vom nun stressigeren Schulalltag, wie ein Kurzurlaub mit Freunden.

Wir sind in die Hauptstadt Quito gefahren, ich mit zwei Zielen: Kletterschuhe zu kaufen und das erste „The Vegan World“ Festival Ecuadors mit Vincent zu besuchen. Beides haben wir gemacht, das alleine war schon super schön und zweiteres auch überaus lecker: An fast jedem Stand konnte man eine vegane Leckerei- ob Schokolade, Limonade, Gebäck, Eis, Aufstriche, Wraps, Burger, etc. probieren.

Besonders dank dem sympathischen und offenen David vom „Quito Family & Youth Hostels„, wo wir ziemlich spontan wohnen durften, wurde es noch darüber hinaus ein unvergessliches Wochenende. Wir hatten mehr das Gefühl, bei einem Freund zu wohnen als in einem Hostel, morgens haben wir mit David gefrühstückt, am Samstagabend sind wir mit ihm, Freunden und Hostelgästen (was für ihn ineinander überzugehen scheint) weggegangen und saßen bis spät in der Nacht auf dem zentralen Platz Quitos vor dem Präsidentenpalast und sangen spanisch und englisch-sprachige Lieder, während wir von der wunderbaren Angeles auf der Gitarre begleitet wurden. David hat uns schon eingeladen, Weihnachten und Silvester bei ihm zu feiern, und ich möchte auf jeden Fall wiederkommen.

Ich schicke euch liebe Grüße ins vorweihnachtlichen Deutschland, wünsche euch eine ruhige Adventszeit und freue mich über jede Nachricht von euch!

Umarmung,

Anna

 

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